Nach dem leichten Lichtblick im April hat der Mai nun mit voller Brutalität zugeschlagen: Der Index-Wert von 67 Punkten ist der tiefste Wert, den wir bislang für einen Monat ausgewiesen haben. Er liegt deutlich unter Vorjahr und Vormonat und stellt eine Zäsur dar. In den letzten Jahren haben wir noch von „negativem Trend“, „schleichendem Wandel“ und im März 2016 von „schnellem Wandel“ gesprochen. Jetzt müssen wir einen Gang höher stellen und befinden uns in der Kategorie „abrupter Wandel“.

Per Ende Mai ist die kumulierte Lücke des ICT-Reseller-Index zum Jahr 2015 bei -16%. Das ist deutlich mehr als nur ein „negativer Trend“. Bei näherer Betrachtung wären die Absätze und Umsätze unseres Channels, ohne die positive Entwicklung der Sortimentsbereiche „andere Artikel“ und „Zubehör“, sogar noch schlechter und die Lücke zum Vorjahr noch grösser.

Konnte Ende 2014 noch 42% des Reseller-Handelsumsatzes über den Verkauf von Computern verbucht werden, so ist dieser Anteil im Mai 2016 auf 33% gefallen. Genau entgegengesetzt verläuft die Entwicklung bei den Artikeln, die eher im ICT-Umfeld zu finden sind und inzwischen einen Umsatzanteil von 43% aufweisen.

Dass sich etwas grundsätzlich ändert im Handel, ist offensichtlich. Seit mehr als 12 Monaten ist die über Jahre eher stabile Saisonalität ausser Kraft gesetzt. Die seit Jahren diskutierten Effekte der „Digitalen Transformation“ beginnen spürbar zu greifen. Die Cloud ist in der Realität angekommen. Es herrscht zusätzlich eine generelle Verunsicherung über alle Branchen hinweg.

Statt disruptive Innovationen zu entwickeln, was immer schwieriger wird, fusionieren die grossen Hersteller und werden so noch grösser. Darüber hinaus ist über die Branchen hinweg zu erkennen, dass Servicedienstleistungen dem klassischen, physischen Produkt den Rang ablaufen.

Im Schweizer ICT-Umfeld treffen diese Entwicklungen geballt aufeinander:

  • Die Verlagerung von ICT-Funktionalitäten in die Cloud reduziert den Bedarf an dezentralen Rechenleistungen. Diese Investitionen in die Cloud gehen aber vielfach am Schweizer ICT-Reseller vorbei. Denn Cloud-Services für die Schweiz werden leider oft in wenigen, zentralen Cloud-Rechenzentren im Ausland erbracht.
  • Fusionierende Firmen sparen Kosten – als erstes wird versucht, Synergien bei internen IT-Services zu heben.
  • Unternehmen ohne neue innovative Produkte verlieren Umsatz. Mit dem Rücken zur Wand versuchen sie durch Kosteneinsparungen zu kompensieren. Global Sourcing (leider in der Regel nicht in der Schweiz) und Verlängerung der IT-Nutzungsdauer sind hier inzwischen Standard.
  • KMUs und Privatpersonen, die sich in einer unsicheren Position befinden, sparen als erstes bei den aufschiebbaren Investitionen, zumal die vermeintlich alte IT heute länger hält als auch schon.

Stimmen aus dem Markt:

  • „Unsere Kunden haben die durchschnittliche Nutzungsdauer ihrer IT-Geräten von 3-4 Jahre auf nun 4-5 Jahre umgestellt. Der Zwang zum Kauf neuer Geräte fehlt aktuell.“
  • „ … ja, der Mai ist im Handel sogar unter dem schon schlechten März. Aber wir werden das durch Dienstleistungen mehr als kompensieren.“
  • „… statt Produkte zu verkaufen, machen wir jetzt immer mehr Projekt-Geschäfte. Da ist zwar weniger Hardware-Verkauf gefragt, aber die Margen sind insgesamt deutlich besser. Wenn wir jedoch keine Hardware anbieten könnten, wäre es nicht möglich mitzuhalten.“

 

Thomas Czekala, Verwaltungsrat ProSeller AGThomas Czekala
Verwaltungsrat ProSeller AG

Bericht auf IT-Markt.ch
Bericht auf inside-channels.ch

 

Über den Autor: Thomas Czekala ist Partner, Gesellschafter und Verwaltungsrat der ProSeller AG. Er hat zudem Mandate verschiedener anderer Firmen im Umfeld von Digitalisierung, Marktplätzen und weiteren innovativen Trends. Zusammen mit dem ProSeller-Team baut er für Kunden neue Marktplätze auf und arbeitet an der Weiterentwicklung des firmeneigenen ProSeller B2B E-Commerce-Marktplatzes auf Concertopro.ch, der inzwischen ein jährliches Einkaufsvolumen von über 1,5 Milliarden Franken verarbeitet. Er berät und hält Vorträge zu Fragen der Digitalisierung und Transformation. Als zertifizierter SAFe 4 Agilist und ehemaliger Manager und Gesellschafter der Scout24-Gruppe beherrscht er die modernen Projektmanagement- und Führungsmethoden im unsicheren Innovationsumfeld und kann auf ein breites Feld von Erfahrungen zurückgreifen.